Der Einsatz knapper werdender Rohstoffe muss neu gedacht werden. Das ist auch ein Anspruch, den die von der ARGE Vordenken für Osttirol ausgerichtete Fachtagung „Ressourcen neu denken: Impulse für morgen“ verfolgt hat, die am 20. November 2024 in Sillian unter Mitwirkung namhafter Experten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz vor einem ebenso interessierten wie sachkundigen heimischen Publikum stattfand. Neben kurzen Impulsvorträgen zu den Schwerpunktthemen Bauen und Tourismus standen die Diskussion und Vernetzung im Vordergrund, und auch die Jugend hat sich intensiv und sehr produktiv mit dem Thema Kreislaufwirtschaft auseinandergesetzt.
Kreislaufwirtschaft geht jeden einzelnen an. Die Frage, ob sie beim Konsumenten oder Produzenten, bei der Nachfrage oder beim Angebot beginnen sollte, ist praktisch so sinnvoll, wie danach zu fragen, ob zuerst die Henne da war oder das Ei. Einerlei. Wie Karin Huber-Heim, die Direktorin des Circular Economy Forum Austria, in ihrem Vortrag betonte, stützte sich die Wachstumsökonomie der Nachkriegszeit auf die Entnahme von immer mehr Rohstoffen aus der Natur. Diese Rohstoffe werden möglichst günstig abgebaut, mit möglichst wenig Arbeit zu Produkten und Dienstleistungen gemacht und möglichst teuer verkauft.
Recycling oder gar Wiederverwendung spielen eine sehr untergeordnete Rolle. Rohstoffe sind aber nicht unbegrenzt verfügbar. Deshalb kann dieses System – man bezeichnet es auch als „Wegwerfwirtschaft“ – nicht beliebig fortgesetzt werden. Es stößt an seine Grenzen. Spätestens dann wird die Kreislaufwirtschaft zur neuen Grundbedingung für Wachstum und Fortschritt. Rohstoffarmut auf der einen und Müllberge auf der anderen Seite können gar nicht nachhaltig sein. Wie man erste Schritte hin zu einer neuen, ressourcenschonenden Art des Wirtschaftens setzen kann, wurde im Rahmen der Fachtagung in Sillian ausgiebig diskutiert. In der Kreislaufwirtschaft werden Rohstoffe und Produkte im Kreis geführt. Das bisherige Prinzip „herstellen, nutzen, wegwerfen“ weicht einem regenerierbaren System, in dem geteilt, geleast, wiederverwendet, repariert, aufgearbeitet und erst zuletzt recycelt wird. Das verlängert den Lebenszyklus der Produkte und reduziert Abfälle auf ein Minimum. Diese Weiterverwendung erzeugt Wertschöpfung. Dafür braucht es auch neue Geschäftsmodelle. Zum Auftakt der Tagung skizzierte Wirtschaftswissenschaftler Renè Schmidpeter die Ausgangslage und appellierte, Nachhaltigkeit als unternehmerische Chance zu sehen. Nachhaltiges Wirtschaften ist ein Wettbewerbsvorteil.
Nachhaltiger Austausch
Die Fachtagung in Sillian stellt möglicherweise den Auftakt zu einem wiederkehrenden Veranstaltungsformat dar, das die vielfältigen Wege hin zu einer Kreislaufwirtschaft unter Berücksichtigung regionaler Gegebenheiten in den Mittelpunkt der Überlegungen stellt. Zentral dabei war nicht die abstrakte und theoretische akademische Diskussion, sondern der bewusste Brückenschlag hin zur Praxis und die konkrete Bezugnahme auf die Lebenswirklichkeiten im Alpenraum. Moderator und Sozialunternehmer Fritz Lietsch hat wiederholt darauf hingewiesen, wie soziale und wirtschaftliche Erneuerung angestoßen werden kann: Durch Vernetzung und Austausch. Er hat die ebenso einfache wie richtige Formel gebracht: „Durch’s Reden kommen die Leute zusammen.“ Das musste den Teilnehmern nicht zweimal gesagt werden, dienten doch selbst die Pausen dem regen Gedankenaustausch. Als gleichermaßen sachkundige wie diskussionsfreudige Moderatoren lenkten die Wissenschaftler Rahel Meili, Birgit Pikkemat und Tobias Stucki die angeregten Debatten.
Vom Allgemeinen zum Regionalen
Die Kreislaufwirtschaft hat zwar allgemeine theoretische Grundlagen, ihre konkrete Ausgestaltung wird sich aber von Region zu Region unterscheiden müssen, weil die Voraussetzungen nicht überall dieselben sind. Nach kurzen Impulsvorträgen durch Experten haben daher Praktiker wie Raumplaner Thomas Kranebitter, Baumeister Johannes Viertler und Hotelière Katharina Hradecky die regionale Perspektive eingebracht. In den anschließenden Diskussionsrunden wurden Herausforderungen und Chancen benannt sowie erste konkrete Handlungsmöglichkeiten ausgelotet. Kreislaufwirtschaft ist nicht etwas, das die Politik einfach so verordnen kann, sie muss praktisch umgesetzt und damit alltagstauglich werden. Dabei gibt es naturgemäß noch viele Hürden zu überwinden. Diese zu identifizieren ist bereits ein erster wichtiger Schritt. Sie sind finanzieller ebenso wie gesetzlicher Natur, aber wesentlich auch im menschlichen Verhalten zu suchen. Das hat sich auf der Tagung besonders im Themenkreis „Bauen“ deutlich gezeigt. Deswegen wurde mehr als einmal die Bedeutung der Sensibilisierung der Bevölkerung hervorgehoben. Der deutsche Architekt Bernd Köhler hat das ambitionierte Ziel formuliert, dass zukünftig mit weniger Material für mehr Menschen gebaut werden muss, sein österreichischer Kollege Robert Neumayr hat in seinem Vortrag „Bauen ist Weiterbauen“ dafür plädiert, den notwendigen „geistig-konzeptionellen Schritt“ für die weitere Nutzung bzw. Umnutzung von Bestandsgebäuden zu machen. Im Themenkreis Tourismus hat Tourismusforscher Mike Peters mögliche Wege hin zur Kreislaufwirtschaft im Tourismus aufgezeigt, Kreislaufwirtschafts-Expertin Anna Köhl hat im Anschluss die Chancen und Potenziale des Tourismus als Multiplikator erläutert. Es hat sich gezeigt, dass gerade im Tourismus bereits einiges in dieser Hinsicht geschehen ist und es ein ausgeprägtes Bewusstsein für regionale Kreisläufe gibt, auf das es weiter aufzubauen gilt. Die engere Verzahnung von Landwirtschaft und Tourismus bedarf der weiteren Professionalisierung, verbesserten Kommunikation und bewussten Inwertsetzung landwirtschaftlicher Leistungen.
Jugendliches Ideenfeuerwerk
Parallel zu den Vorträgen und Diskussionen über Bau und Tourismus war die Jugend mit beeindruckendem Engagement bei der Sache. Im Rahmen von Kreativworkshops unter Anleitung von Modemacherin Bobs Schusteritsch und der Kitzbüheler Ideenschmiede LOOT wurden der Innovationsansatz des Design Thinking praktisch auf die Probe gestellt und konkrete Lösungen für die Wiederverwertung von Textilien erarbeitet. Die jungen Menschen haben dabei eindrucksvoll gezeigt, dass sie das Potenzial der Kreislaufwirtschaft beinahe intuitiv erfasst haben. Das gibt Anlass zur Hoffnung.
Diese Fachtagung hat gezeigt, dass Kreislaufwirtschaft eine gemeinschaftliche Entscheidung ist. Sie ereignet sich nicht von selbst, sondern muss gezielt umgesetzt werden. Als Alternative zur Wegwerfwirtschaft wird sie zweifellos weiter an Bedeutung gewinnen. Im Alpenraum gibt es dafür besondere Herausforderungen und Chancen. Osttirol kann diese nützen, wenn es die Bereitschaft gibt, mit vereinten Kräften voranzugehen. Die entsprechenden Lösungen entstehen im Gehen. Oder wie es in der Diskussion hieß: „Es ist besser, nicht perfekt zu starten, als am Ausgangspunkt zu verharren.“
© Fotos: ARGE Vordenken für Osttirol/Brunner Images
Über Vordenken
Die Arbeitsgemeinschaft Vordenken für Osttirol hat sich der Inwertsetzung und Entwicklung des Lebens- und Wirtschaftsraums Osttirol verschrieben. Die ARGE Vordenken wurde Anfang 2013 ins Leben gerufen und wird von folgenden Institutionen getragen: Arbeiterkammer Tirol, Landwirtschaftskammer Tirol, Wirtschaftskammer Tirol, Osttiroler Wirtschaftspark GmbH, Regionsmanagement Osttirol, Standortagentur Tirol, Sonnenstadt Lienz, Tourismusverband Osttirol, Felbertauernstraße AG.
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